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Mittwoch, 12. Dezember 2012

Alle Jahre wieder (by Marie-Jeanne)

Heute darf ich eine geschätzte Autorin hier als Gast begrüßen, die keinen eigenen Blog betreibt.

Marie-Jeanne.

Bitte Marie-Jeanne, mi Blog es su Blog :)



~ 12 ~




Ich hasse Weihnachten. Nicht erst seit diesem Jahr, nein, schon die letzten dreizehn Jahre, einhundertzehn Tage und neun Stunden. Seit ich zehn Jahre alt bin. 
Es ist klar, als dritter Sohn in einer Familie aus Weihnachtselfen kann man Weihnachten gar nicht mögen. Schon als Kind wird man gezwungen Bilder von lachenden Schneeflöckchen und fliegenden Schlitten malen - was Quatsch ist, immerhin arbeiten wir alle für das Christkind, das klingelt ja ganz brav an der Tür und lässt die Säcke mit Geschenken von armen Untergebenen wie mir schleppen. 
„Barry!“, ruft jemand hinter mir und ich seufze genervt auf. Mein älterer Bruder Larry pflügt sich durch die Massen an Geschenkpapier und Schleifen, offensichtlich auf der Suche nach mir. 
Noch hat er mich nicht gefunden, immerhin sitze ich hier ziemlich verdeckt hinter einigen Stapeln kitschigem Geschenkpapier mit Einhörnern und Wintermützen darauf. Mein Job ist lahm. Ich soll mir neue Motive für Geschenkpapier ausdenken, aber so langsam habe ich das Gefühl, dass ich innerhalb der letzten Jahre schon alles auf Papier gebannt habe.
Dicke Weihnachtsmänner, aus deren Mund Noten und ein fröhliches „Ho ho ho“ kommt, oder Engel, die einen Weihnachtsbaum schmücken ...
Für die ganz Harten habe ich sogar mal Motorrad fahrende Weihnachtsmänner mit roter Lederweste auf das Papier gedruckt. Und was war der Dank? Eine Abmahnung, weil ein Jahr, nachdem wir das Papier benutzt hatten, das selbe Motiv auf dem menschengemachten war. Für eine BDSM-Shop-Kette. 
Das Christkind fand das gar nicht witzig - der kleine Spießer - aber der Weihnachtsmann hat sich totgelacht und sogar die Engel fanden es zum Schießen. 
„Barry?“, grölt Larry wieder und ich überlege mir ernsthaft mich einfach unter einem Stapel zerknüllter Papierentwürfe zu verkriechen. Immer wenn Larry mich besucht, kommt etwas wirklich unangenehmes auf mich zu. Letztes Mal war es ein Sonderauftrag für irgendein blödes Gör, das ausgerechnet Formel 1 und Ponys ganz toll fand. Was durfte ich also machen? Genau, ein Papier mit in einem Formel 1-Wagen sitzenden Pferden. 
Weil mein nerviger Bruder immer noch durch die Gegend rennt, meine Entwürfe und Rohmaterialien durcheinanderbringt und nach mir ruft, antworte ich schließlich: „Was ist denn?“
Er folgt meiner Stimme, Geschenkpapier fliegt durch die Gegend als er sich einen Weg zu mir bahnt.
„Hier bist du“, stellt er nicht ganz helle fest und ich verkneife mir einen gemeinen Kommentar. Immerhin kann Larry nichts dafür, dass ihm mal ein Weihnachtsbaum auf den Kopf gefallen ist, damals, als diese Möbelhaus-Werbung im Umlauf war, in der alle ihre Bäume aus dem Fenster schmeißen. Danach war Larry nie mehr der selbe.
„Sag schon, was für einen dämlichen Spezialauftrag gibt es diesmal?“, frage ich ungehalten und drücke meinen Bleistift so fest, dass er knackt.
„Der Weihnachtsmann und der Geist der zukünftigen Weihnacht wollen dich sprechen“, teilt Larry mir mit und besieht sich einen meiner Entwürfe, betrunkene Rentiere, die Polka tanzen. „Das sieht nicht sehr kindgerecht aus“, stellt mein Bruder fest.
„Es ist auch nicht für Kinder sondern für den Weihnachtsbasar der Anonymen Alkoholabhängigenangehörigen“, erkläre ich bemüht geduldig.
„Achso.“
Nach dieser sehr erhellenden Feststellung dreht Larry sich um und pflügt zurück zum Ausgang, wahrscheinlich besucht er jetzt unseren Ältesten Harry und sie betrinken sich ein bisschen. 
Und ich mache mich seufzend auf den Weg zum Büro vom Weihnachtsmann.
oOo
Schon als ich an dessen Büro klopfe, ist mir klar, dass das keiner dieser gemütlichen Termine wird, bei denen man plaudert und Lebkuchen in sich reinstopft, sondern einer von denen, die einen mit dem kalten Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit zurücklassen.
Weihnachtsmann sitzt mit dem Geist der zukünftigen Weihnacht da, der seine Sensemannkutte heute mal abgelegt hat und stattdessen Jeans und Hemd trägt. Im Prinzip wäre er wahrscheinlich ein echt heißer Typ, wäre da nur nicht dieser Skelettkopf. Das verleiht ihm ein bisschen das Aussehen einer Dekoration für Halloween. Wahrscheinlich schaut er deshalb so unbegeistert.
„Hallo, Santa und Zukunft!“, grüße ich und nehme unaufgefordert in einem der gemütlichen Sessel platz, die hier rumstehen.
„Guten Tag, Barry“, grüßt Santa zurück, Zukunft nickt nur grießgrämig und bedauert wahrscheinlich mal wieder, dass er keinen Glühwein kippen kann, weil Flüssigkeit die unangenehme Eigenschaft hat durch seinen Rippen hindurchzulaufen und auf dem Hemd zu landen.
„Wir haben ein Problem“, erklärt Santa auch gleich und ich seufze.
„Was denn?“, frage ich. Bitte, bitte, bitte, lass es nichts mit dem Christkind zu tun haben. Denn um ihn geht es meist wenn Santa und Zukunft ein Problem  haben.
„Es geht um Christ“, kommt Zukunft schnell zur Sache. Klar, wann hat mal keiner einen kleinen Streit mit dem Christkind. „Er verlangt von uns, jedem Geschenk ein Büchlein mit der Weihnachtsgeschichte beizulegen!“
Aha. Und? Es ist doch nicht schlecht wenn diese ganzen blöden Gören mal wissen, warum sie überhaupt Geschenke bekommen, oder? Auch wenn ich nicht oft begeistert bin von Christ, hier gebe ich ihm recht.
Doch so wie ich Zukunft, Santa und einige der anderen meiner Vorgesetzten kenne, wird das in einem Haufen Papierkrieg enden, den mal wieder ich ausbaden darf.
Und wissen Sie auch warum?
Christ und ich kennen uns seit ich ein kleiner Elf war. Damals hatte ich das Glück für ein Praktikum ausgewählt zu werden, das mich in die heiligen Hallen des Christkindes brachte.
Nur entpuppte sich das Christkind nicht als kleine, fette Engelsputte, nein, ich stand plötzlich einem knapp zwei Meter großen, breitschultrigen und sehr, sehr begehrenswerten Mann gegenüber. Das einzig engelhafte waren die blonden Locken und blauen Augen. 
Er lächelte mich damals an - was ich auch nur sehen konnte, weil ich den Kopf ganz in den Nacken gelegt hatte, immerhin war ich erst knapp einen Meter hoch - und tätschelte meinen Kopf.
Und ich hasste ihn sofort.
Selbst für einen Elf bin ich nach wie vor ziemlich klein, nur knapp einsfünfundsechzig, in meiner Familie bin ich der Vorgartenzwerg. Sogar Tante Ida ist größer als ich.
Ich werde von Zukunft aus meinen Gedanken gerissen. „Was schlägst du also vor, Barry?“
Da ist es wieder. Das Abwälzen aller Probleme auf mich, den armen und geplagten Geschenkpapierdesigner-Elf.
Ich meine; ich komme nicht mal über den Status heraus, in dem man als Elf noch die Uniform tragen muss. Die mit den Ringelleggins und grünen Oberteilen. Sogar diese blöde Zipfelmütze mit Glöckchen muss ich tragen.
„Warum fragt ihr mich denn?“, seufze ich. Nur weil Christ einen  Narren an mir gefressen hat? Seit ich ein kleiner Elf war, fragt er öfter nach mir und seit ich erwachsen bin, unternehmen wir öfter mal was miteinander.
„Vielleicht hört Christ auf dich. Du musst einfach nur wieder so niedlich schauen wie damals, als es den Ärger mit dem SM-Geschenkpapier gab und dann wird er einsehen, dass das Quatsch ist. Wir müssen den Menschen Freiheit gewähren daran zu glauben, was sie wollen“, führt Santa seinen Gedanken aus und ich frage mich wirklich, warum er so ein Problem hat.
„Gib´s zu, Santa, du willst nur nicht, dass du als Werbung für Softdrinks verschrien wirst“, motze ich, stehe aber auf um zu Christ zu gehen. Um diese Zeit sitzt er meistens bei dem brennenden Busch. Man hat das Teil hierher importiert um einen direkten Dreht zum Verursacher des ganzen Weihnachts-Übels zu haben.
Gott lässt sich hier nur selten blicken, aber wenn, dann ist es immer ganz witzig. Er macht sich einen Spaß daraus in der Gestalt von irgendjemandem zu erscheinen, der auch hier in Elfenland lebt. 
Letztes Mal kam er als mein Bruder Larry und es war fast nicht vom Original zu unterscheiden. Die Erwähnung des Wortes „Rotation“ verriet ihn dann aber doch.
Ich hatte recht. Christ sitzt auf der Bank und starrt in die Flammen des Gestrüpps. Nach mehr als zweitausend Jahren sieht das Teil auch nicht mehr taufrisch aus.
„Hey“, grüße ich und lasse mich neben Christ auf die Bank fallen. Er schaut mich nur mit zusammengekniffenen Augen an. 
„Ich weiß, warum du hier bist und ich werde nicht diskutieren“, teilt Christ mir mit und schaut dann wieder stur auf den Boden. 
Jetzt tut er mir leid. Klar, er ist ein elender Besserwisser, aber er will immer nur für alle das Beste. Und er gibt sich Mühe Traditionen zu bewahren, deshalb liebt er es Liederbücher mit alten Kinderliedern zu verschenken.
„Ist okay. Ich finde, dass du recht hast“, erkläre ich leise und starre ebenso wie er ins Leere. Ich spüre, wie Christ neben mir sich ruckartig rumdreht und mich anstarrt.
„Du bist meiner Meinung?“
„Ja. Absolut.“
„Aber du sitzt noch hier und bestimmt hat Santa dich geschickt um mit mir zu reden.“
„Ja. Aber ich will dir deine Idee nicht ausreden. Nur vielleicht einen Kompromiss vorschlagen.“
„Was für einen?“
Christ wirkt ehrlich interessiert, er hat sich nach vorne gebeugt und schaut mich forschend an. Er sieht ziemlich süß aus - ja, auch zwei Meter große Riesen können süß aussehen - wie er an seinem Pullover herumknibbelt.
„Stellt ein Buch mit den wichtigsten Weihnachtsgeschichten zusammen. Mit deiner, der des Weihnachtsmannes und der von den Geistern und so. Als eine Art Überblick über Tradition und Glauben, nur eben kindgerecht verpackt. So kommt ihr alle vor und die ganzen Gören haben nicht nur was gelernt, sondern sie wissen auch wieder, warum Weihnachten gefeiert wird“, schlage ich vor. 
Einen Moment ist es still, dann grabscht Christ nach meiner Hand und drückt sie. „Danke!“, haucht er, seltsam leise, sonst ist er ein klar verständlicher, etwas lauterer Typ. Dann küsst er mich.
Es ist wie - jedes Mal wenn er das tut - ganz zärtlich und sanft, man würde ihm das so gar nicht zutrauen. Seine Lippen liebkosen meine ganz vorsichtig, als wäre es unser erster Kuss und nicht der fünftausenddreihundertunderste in unserer Beziehung.
„Ich sage es den Anderen“, verkündet er lächelnd als wir uns loslassen und ich tief durchatme um wieder Luft in meine Lungen zu bekommen. „Du hast heute das Weihnachtsfest gerettet - zumindest für mich, Barry!“
Kaum gesagt, schon verschwunden.
„Wir sehen uns dann heute Abend zu Hause! Und denk´ dran, du musst heute kochen!“, rufe ich noch, dann ist er schon verschwunden.
Leise lächelnd schaue ich auf den brennenden Busch, der die Weihnachtsdeko um sich herum kräftig angesengt hat.
Ich mag Weihnachten nicht, eigentlich hasse ich es sogar. Aber heute, heute beschließe ich es zumindest ein klitzekleines bisschen zu mögen.
Beim Weg zurück zu meinem papiervermüllten Arbeitsplatz gelingt mir sogar ein richtiges Lächeln. Ja, für heute mag ich Weihnachten.




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Morgen öffnen wir das Türchen auf Nico Morleen's Blog

4 Kommentare:

  1. Das ist wahnsinnig süß :D
    Und die Idee- ein weihnachtshassender Weihnachtself :D :D

    Einen wunderschönen 12.Dez. für alle :)

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  2. Eine total niedliche Idee! Danke für deine schöne Geschichte. Ich habe mich sehr über Barry amüsiert.
    lg
    karo

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  3. Oh mein Gott die war einfach nur total klasse niedlich x3
    Barry ist unheimlich cool :D
    Hassender Geschenkpapierdesigner Elf :3
    Und Christ ist auch klasse ^-^
    Kann allerdings nicht verstehen was er gegen die Bdsm Werbung hat-ist doch toll wenn Barrys Ideen weiter verwendet werden xD

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